Ein Betroffener erzählt…
Mein Name ist Jörg, ich habe Polyneuropathie
Ich wuchs in einer sehr behüteten, gut bürgerlichen Familie auf. Ich lebte zusammen mit meinem jüngeren Bruder und der jüngeren Schwester sowie meinen Eltern in einem großen Haus mit noch größerem Garten samt Schwimmbad und eigenem Tennisplatz. Zur Schule ging ich bis in die Handelsakademie, die ich mit der Matura abschloss.
Diese Kinder und Jugendjahre in einem lebendigen Traum endeten dann jäh mit dem Tode meines Vaters.
Wir hatten innerhalb von 4 Monaten dieses Dienstrefugium zu verlassen und übersiedelten nach Wien. Von dort zog es mich beruflich nach Osttirol wo ich das Hotel, das sich seit vielen Generationen im Familienbesitz befand, führte. Von 1981 bis 2004 führte ich das Hotel mit viel Begeisterung und Schwung. Es gelang mir, das Hotel stets mit sehr guter Auslastung auch durch raue wirtschaftliche Wirren hindurch zu schiffen. In den Jahren bis 1998 nahm ich so manchen Schluck vom edlen Wodka zu viel zu mir, sodass ich dann am 20.3.1998 den Weg zu den AA fand. Seit diesem Tag war und ist mir stets der Segen, keinen Alkohol mehr zu mir zu nehmen.
Doch der damalige exzessive Alkoholkonsum brachte für mich die
Krankheit früher zum Ausbruch. So verspürte ich schon in den frühen 90er Jahren des vorigen Jahrtausends starke Schmerzen in den Beinen und ein Zucken am Abend. Das wurde bis 1998 tunlichst mit Wodka übergangen. Danach, ab meiner glücklichen und zufriedenen Alkoholfreien Zeit, kontaktierte ich immer öfter Ärzte.
Zuerst verschrieb man mir Stützstrümpfe, in der Meinung, dass die Veneninsuffizienz die Ursache war. Recht rasch musste ich aber feststellen, dass dem nicht so ist.
Also ging ich wieder zu Ärzten. Das war die Zeit, wo ich zu Neurologen den ersten Kontakt fand. Aber auch zu Internisten. 2002 bekam ich einen Herzinfarkt, der erst in meiner Wien Zeit diagnostiziert wurde.
2004 verkaufte ich das Hotel schweren Herzens. Ich sattelte gänzlich um zum gewerblichen Masseur. Dieser Beruf wurde dann auch meine erste Berufung. Viele Kunden lagen auf meinen Behandlungstischen und vielen erwachsenen Schülern durfte ich die hohe Kunst der Massage sowie des Autogenen Training beibringen.
Es war auch das Jahr 2002, wo ich das Glück meines Lebens, meine Frau Brigitte kennen lernen durfte. Zuerst via Internet aber sehr, sehr schnell dann auch f2f ("face to face"- von Angesicht zu Angesicht; Anm. des Red.) Wir unternahmen in extrem schnellen Tempo - so als ob wir wussten, dass bald eine andere Zeit kommt - Wanderungen im Gebirge, Radtouren von Lienz zum Gardasee, von Lienz zum Wörthersee, von Passau nach Wien, die Dolomiten Radtour u.v.m.
Die ganze Zeit über verspürte ich bereits Schmerzen in den Beinen. Nach jeder Tour hatte ich Schüttelfrost und Krämpfe. Es ging immer härter. 2005 kam dann in der Uniklinik die Diagnose Polyneuropathie. Anfangs nahm man an, sie sei vorrangig verursacht toxisch.
Da kam auch dann der Kontakt zu Bibap Gerät in der Nacht, zu Neurontin und Lyrica.
2010 musste ich meinen geliebten Beruf lassen, da ich damals mit einem Schub, der über Nacht kam aber bereits vorhersehbar war, im Rollstuhl.
Das war der 13.09.2010. Ab da sollte für mich eine Odyssee von
Krankenhausbesuchen und Reihenuntersuchungen jedweder Art kommen.
So war ich in den Jahren 2010 bis 2015 pro Jahr im Schnitt 5 Monate im Krankenhaus. Daneben war totaler Ausfall des rechten Armes,
Dauersauerstoff und Inkontinenz. Ich wurde zum 100% Pflegefall, da ich zu allem Glück auch noch eleptogene Anfälle hatte.
Meine Frau konnte mich nicht mehr allein pflegen, obwohl sie es wollte. Ich konnte und durfte dies nicht zulassen, so bekamen wir Hauskrankenpflege. Als ich Brigitte auf Urlaub schickte, kam ich selbst in das Donaupflegeheim im 22. Bezirk. Denn seit 2012 sind wir nun in Stammersdorf (21. Bezirk) zu hause.
Durch das Einfühlungsvermögen von Primar Univ. - Dozent Dr. Udo Zifko, der mir mit dem Satz "ich kenne Fälle, da kamen die Patienten wieder teilweise aus dem Rollstuhl, aber bei Dir wird das nicht so sein" meinen Kampfgeist entfachte, den ich als Tiroler wohl angeboren habe. Bedingt durch seine Worte aber für mich viel mehr durch Gottes Segen, konnte ich bald die ersten Schritte aus dem Bett zum Rollstuhl alleine machen. Für mich ist es ein spirituelles Erlebnis, das mit mir geschah und noch heute geschieht.
Aber selbst in der schlechtesten Zeit, arbeitete ich schon am Aufbau eines
Vereines, der es sich zum Ziel machen soll, anderen Betroffenen und Angehörigen Mut zu machen. Außerdem verfolgt der Verein noch das Ziel der Herausholung aus der Isolation. Auch eine Unterschriftenliste wurde ins Leben gerufen, dass die Wissenschaft nun an einer Erforschung eines Medikamentes gegen Polyneuropathie arbeiten möge.
Seit ich den Segen der teilweisen Genesung erlebe, darf ich nun mit all meiner Gott gegebenen Kraft mich für den Verein und die Entwicklung sowie das Lobbying für unsere Krankheit einsetzen.
Nebenbei darf ich als Krankenhausseelsorger arbeiten. Dies alles macht mich sehr glücklich. All dies könnte ich wohl kaum ohne der Starken Hilfe meiner über alles geliebten Frau Brigitte. Sie ist es, die mir Kraft und Hoffnung jeden Tag schenkt durch ihr Lächeln und ihr Dasein. Danke.